Jedes Jahr am letzten Tag im Februar machen Menschen auf der ganzen Welt am „Tag der seltenen Erkrankungen“ auf das Schicksal Betroffener aufmerksam. Auch das Kinder- und Jugendhospiz Balthasar, dessen junge Gäste zumeist eine solche, seltene Krankheit haben, möchte an diesem Tag für die Geschichte der Kinder und Jugendlichen sensibilisieren.
Anette Stern ist die Pflegemutter des neunjährigen Fabian, der mit einem seltenen Gendefekt zur Welt kam und schon mit acht Wochen von Frau Stern und ihrem damaligen Mann in die Familie aufgenommen wurde. Seit sechs Jahren kommen Pflegemama und Sohn regelmäßig ins Kinder- und Jugendhospiz Balthasar, um Energie für den kräftezehrenden Alltag zu tanken.
Dass Fabian unheilbar erkrankt ist, wussten Anette und ihr Mann damals nicht. Zwar wollten sie ein krankes Kind aufnehmen, um etwas von dem Glück zurückzugeben, das Anette Stern mit zwei gesunden leiblichen Kindern aus erster Ehe hatte. Aber bei Fabi, wie Anette ihren Sohn liebevoll nennt, waren lediglich eine Trink- und eine Muskelschwäche und die Prognose „Mit viel Liebe wird das schon“ bekannt. Dass mehr als eine Trinkschwäche dahinter stecken musste, merkte die Familie im Alltag schnell, zumal Anette Stern selbst gelernte Krankenschwester ist. „Die ersten zwei Jahre war ich mit Fabi mehr im Krankenhaus als zuhause. Er hatte immer wieder Infekte, vor allem in der Lunge, musste eine Herz-OP überstehen und bekam zu alledem noch MRSA“, blickt sie zurück, „Nur eine Diagnose, was unserem Kleinen wirklich fehlt, die bekamen wir nicht.“ Erst als Fabian schon drei Jahre alt war, stand die Vermutung eines Gendefekts im Raum. Der leibliche Bruder von Fabian, der ebenfalls in einer Pflegefamilie lebt, wurde ausfindig und humangenetische Untersuchungen gemacht. Nach drei langen Jahren hatte Anette Gewissheit: Fabian litt nicht nur an einer Trink- und Muskelschwäche, sondern er hat das MECP2 Duplikationssyndrom.
Laut Krankheitsbild würde er aufgrund des fehlenden Schluckreflexes nie essen und trinken und durch die Muskelschwäche nie gehen können. Auch dass er sprechen und je sehen könne, stand mit dieser Diagnose in Frage. Außerdem geht das Syndrom mit massiven Schlafstörungen, einer mentalen Retardierung und vor allem teils schweren Infekten einher, die bei den meisten Kindern schon vor dem dritten Lebensjahr zum Tod führen.
Trotz ihres eigenen fachlichen Hintergrunds war Anette mit dieser Diagnose überfordert. „Und was mach ich jetzt?“ war damals ihre erste und einzige Frage. Ohne die Anlaufstellen, die sie damals hatte, hätte sie diese schwere Zeit nicht überstehen können. Ein Satz eines Arztes habe ihr bis heute immer wieder neuen Mut gegeben: als bei einem MRT festgestellt wurde, dass Fabian statt des Gehirnbalkens nur einen dünnen Steg zwischen seinen Gehirnhälften hat, und Anette sich wieder einmal die Frage stellte, was sie nun machen solle, antwortete er ihr: „Dasselbe was sie bislang gemacht haben, denn auch auf einem schmalen Steg kann man gehen.“ Immer wenn Fabian trotz seiner Krankheit und der schlechten Prognosen etwas kann, sagt sie sich seitdem, dass auf dem Steg immer noch genügend Platz ist.
Doch die Versorgung des schwerkranken Kindes lag plötzlich allein in ihren Händen, denn ihr Mann konnte der Belastung nicht standhalten und das Paar trennte sich. Auch ans Arbeiten war nicht mehr zu denken, denn Fabian brauchte seine Mutter rund um die Uhr.
Kurz nach der Diagnose fährt Anette mit ihrem Sohn das erste Mal ins Kinder- und Jugendhospiz Balthasar. „Hier ist ja mein Zuhause“, lacht sie. Das Hospiz sei ihre Kraftquelle. „Eine Woche Balthasar und ich bin wie neu.“ Hier kann sie Fabi beruhigt in die Hände der Pflegekräfte geben. Hier kann sie einfach sagen ‚ich kann nicht mehr‘, ohne sich erklären zu müssen. „Einmal bin ich spät nachmittags angekommen, habe mich direkt ins Bett gelegt und bis zum nächsten Mittag geschlafen. Das geht nur, weil man hier im Hospiz verstanden wird und das Team mich und Fabi kennt und annimmt.“ Hier gibt es immer einen Ansprechpartner und viele andere Eltern, mit denen man sich austauschen kann und mit denen Frau Stern inzwischen auch über die Hospizaufenthalte hinaus befreundet ist. „Im Balthasar habe ich gelernt, dass Fabi den Weg vorgibt“, sagt sie und erklärt weiter, dass ihr Sohn sogar eine Patientenverfügung hat, damit er gehen darf, wenn er möchte.
Inzwischen gibt es auch einen neuen Mann an ihrer Seite, der Fabian genauso liebt wie sie. Und im letzten Jahr hat sie sich sogar mit einem eigenen Pflegedienst selbständig gemacht. Anette Stern ist ein fröhlicher Mensch. Sie ist geradlinig und packt an, wo angepackt werden muss. Ihrer Art und Zielstrebigkeit hat Fabian es zu verdanken, dass er seit seiner achten Lebenswoche sehr viel Förderung bekommt und heute wesentlich mehr kann, als man angesichts der Diagnose je für möglich gehalten hat. Ans Aufgeben habe sie nie gedacht. „Ich finde immer genügend Auszeiten im Alltag. Und die sind immer hier im Balthasar.“
Jedes Leben ist wertvoll und auch Kinder mit einer seltenen und lebensverkürzenden Erkrankung haben ein Recht darauf, Kind zu sein. Darauf soll der Tag der seltenen Erkrankungen aufmerksam machen.
Mehr Informationen zum Kinder- und Jugendhospiz Balthasar und zum Tag der seltenen Erkrankungen:
www.kinderhospiz-balthasar.de
http://www.achse-online.de