Erfahrungen eines Zivildienstleistenden: Die Familie Balthasar - Zivildienst im Kinderhospiz in Olpe: Oh, ich glaube das könnte ich nicht. - Diesen Satz höre ich sehr häufig, wenn ich davon berichte, dass ich meinen Zivildienst im Kinderhospiz Balthasar in Olpe leiste. Diese Arbeit mit unheilbar kranken Kindern kann bedrücken, unglücklich und wütend machen. Sie kann aber auch sehr viel Freude bereiten, wie ich in meiner bisherigen Zeit als Zivi erfahren konnte. Nach abgeschlossener Schulausbildung und erfolgter Musterung musste ich mich zwischen Wehr- oder Zivildienst entscheiden. Ich entschied mich für den Zivildienst, doch wo? Ich wusste, dass ich diese neun Monate nutzen wollte, um ganz neue, möglicherweise einmalige, Erfahrungen zu sammeln. Meine Mutter zeigte mir eine Anzeige aus der Zeitung: Du, im Kinderhospiz in Olpe werden Zivis gesucht, wäre das keine Möglichkeit? Zivildienst im Kinderhospiz? Dort, wo unheilbar kranke Kinder sterben müssen? Dort, wo keine Chance mehr auf Heilung besteht? Dort kann man seinen Zivildienst leisten? Ich war überrascht von der Möglichkeit, merkte aber auch, wie wenig ich über die Arbeit in einem Kinderhospiz wusste. Muss dort wirklich jedes Kind bald sterben? Und wie soll ein Zivi dort helfen können? Ich ließ mir diese Idee durch den Kopf gehen. Glücklicherweise stand der Tag der offenen Tür kurz bevor. Ich fuhr hin, unsicher, was mich erwarten würde. Doch meine Zweifel wurden schnell beseitigt. Helle, freundliche Räume, farbenfroh gestaltet. Wohnzimmeratmosphäre beschreibt es gut, so gar nicht wie im Krankenhaus. Ein Snoezelenraum zum Entspannen mit Wasserbett, Wassersäulen, Musik und Lichtspielen. Ein Aktivraum zum Toben, ein Musikzimmer, ein Schwimmbad und erst das große Bällchenbad. Um die Arbeit kennen zu lernen wurde ich zu einer Hospitation eingeladen. An diesem Tag konnte das Team beurteilen, ob ich für diese Aufgabe geeignet schien, vor allem aber sollte ich mich selber kritisch fragen, ob ich mir diese Arbeit zutraute. So machte ich mich also nervös auf den Weg nach Olpe. Als ich den Aufenthaltsraum betrat, waren die Mitarbeiter noch bei der Übergabe. Begrüßt wurde ich mit einem herzlichen Winken und einem freundlichen Lächeln von einem kleinen Mädchen, welches mit ihrem Rollstuhl durch den Raum flitzte. Dieses Lächeln nahm sofort alle Nervosität von mir. Mir gefiel der Nachmittag, ich half so gut es ging einem Krankenpfleger bei der Betreuung zweier Kinder, knüpfte ersten Kontakt zu betroffenen Eltern, schaute mir das Haus in Ruhe an. Als ich mich am Abend auf den Weg nach Hause machte, war ich froh, diesen Tag erlebt zu haben. Ich hatte das Gefühl, hier bin ich richtig. Glücklicherweise sahen das die Mitarbeiter ähnlich, ich durfte wieder kommen. Am ersten Tag lernte ich dann meine Krankenschwester kennen, die für die Einarbeitung zuständig war, die mir alles zeigte, damit ich die täglichen Aufgaben schnell kennen lernte. Diese gingen weit über das hinaus, was ich erwartet hatte. Mein Glück war, dass ich in meinen ersten Tagen für einen Jungen zuständig sein durfte, den ich direkt in mein Herz geschlossen hatte. Dieser Junge mit einer seltenen Stoffwechselerkrankung machte mir den Einstieg sehr leicht und nahm mir schnell die Sorge, den täglichen Aufgaben nicht gewachsen zu sein, (z.B. hatte ich vorher noch nie ein Kind gewickelt). Er half so gut es ging, zwar fast ohne Sprache, aber mit deutlicher Gestik und Mimik, sodass ich leicht erkennen konnte, ob er sich wohl fühlte oder nicht. Die Krankheiten der Kinder äußern sich ganz unterschiedlich, teils sind sie in ihren körperlichen Fähigkeiten eingeschränkt, teils in ihren geistigen. Bei jedem Kind ist es das Ziel, die vorhandenen Fähigkeiten zu entdecken und zu stärken. So verging die erste Woche und ich merkte langsam, was die besondere Atmosphäre in einem Kinderhospiz ausmacht. Auf der einen Seite schwer erkrankte Kinder, die aber alle so unterschiedlich sind und jedes auf seine Art einzigartig. Auf der anderen Seite die Mitarbeiter, die immer bereit sind, zu helfen, einen nie belächeln. Zwar sind es besondere Ausbildungen und langjährige Erfahrungen, die die Mitarbeiter mitbringen müssen, aber es ist vielmehr die Kombination aus den Stärken jedes einzelnen, die eingesetzt werden können. In einem Kinderhospiz findet man besondere Kinder mit meist sehr seltenen Krankheiten, Familien in Ausnahmesituationen, und Mitarbeiter, die genau hier hin passen. Ich denke jeder, auch ein Zivi, kann vieles dazu beitragen, damit es den Kindern gut geht. Die Kombination aus Pflegenden, pädagogischen Mitarbeitern, Hauswirtschaftern, Zivis, Praktikanten, Ehrenamtlichen, ganz unterschiedlichen Charakteren mit verschiedenen Vorlieben und Fachgebieten machen diese schöne, fröhliche Stimmung aus. Die noch verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten, könnte man als Überschrift über dieses Haus stellen. Und bei allen - oft sehr schönen Dingen - sich von der Lebensfreude der sterbenskranken Kinder begeistern zu lassen. Zu den vielen schönen Erlebnissen zählten zum Beispiel ein Poker- Nachmittag, Ausflüge an den Bigge-See, in die Stadt oder zu einem großen Indoor- Spielplatz. Oft tritt das Thema Tod und Trauern in den Hintergrund. Häufig muss ich mich selber dran erinnern, dass all die Kinder unheilbar erkrankt sind. Wenn man diese Kinder sieht, fällt es einem schwer zu glauben, dass sie vielleicht nur noch eine kurze Zeit zu leben haben. Es gibt diese Momente, an Tagen, an denen es den Kindern nicht gut geht, an denen die Eltern sich große Sorgen machen. In diesen Momenten scheint einem alles so unbegreiflich, so unwirklich. Doch ich versuche nicht, diese Gedanken zu unterbinden, da sie mir auch immer sehr viel Ansporn geben und mir zeigen, wie wertvoll jeder Moment für diese Kinder ist. Natürlich hatte ich Angst vor dem ersten Todesfall, den ich direkt miterleben werde. Möglicherweise wird es ein Kind sein, was ich selber betreut habe, mit dem ich gespielt und gelacht habe, mit dessen Eltern ich mich gut verstanden habe. Doch ich habe erlebt, dass in diesen schweren Momenten die Familie Balthasar eng zusammen stand, um vor allem der betroffenen Familie Kraft zu geben, aber auch jedem anderen, der diesen Verlust betrauerte. So bekommt auch jeder Mitarbeiter die Möglichkeit, sich im Abschiedsraum ganz in Ruhe und auf seine ganz persönliche Weise von dem Kind zu verabschieden. Unter anderem wird man auf diese schweren Augenblicke vorbereitet in den monatlichen Zivis- und Praktikantentreffen. Bei diesen Treffen kann jeder berichten, wie es ihm in den letzten Wochen ergangen ist, welche besonderen Momente man erlebt hat, aber auch welche schwierigen. Dies alles gibt ein Gefühl der Sicherheit, so dass man sich sehr gut aufgehoben fühlt und keine Angst hat, mit seinen Fragen oder Problemen allein dazustehen. Viel Kraft für die Arbeit erhält man auch aus seinem Umfeld. Man erfährt unheimlich viele positive Reaktionen und Anerkennung, egal wo man von seiner Tätigkeit berichtet. Ich merke immer wieder, dass die Menschen sehr interessiert sind an dem Thema Kinderhospiz, da die meisten eine ganz falsche Vorstellung von dieser Einrichtung haben. Aufgrund des Namens wird ein Kinderhospiz natürlich häufig mit einem Hospiz für Erwachsene gleichgestellt. Doch die Kinder besuchen uns nicht nur in ihrem letzten Lebensabschnitt, sondern häufig über viele Jahre. Sie und ihre Familien werden begleitet auf dem schwierigen Weg von der Diagnose bis zum Versterben und darüber hinaus. Immer wenn ich mich über dieses Thema unterhalte, denke ich an meine eigenen ersten Vorstellungen, die genau die gleichen waren und erst bei dem Besuch des Tages der offenen Tür korrigiert worden sind. Nun stehe ich genau in der Mitte meines Zivildienstes. Die ersten 4 ½ Monate kamen mir vor wie 4 Wochen, so schnell sind sie vergangen. Mittlerweile waren viele Familien schon mehrmals zu Besuch, so dass man die Kinder, Geschwister und Eltern immer besser kennen lernen kann. Auch die Kollegen habe ich besser kennen und schätzen gelernt, jeden mit seinen Stärken und Macken. Und ich fahre immer noch glücklich nach meinem Dienst nach Hause. Glücklich, weil es den Kindern gut geht, weil man wieder soviel gelacht hat, weil man das Gefühl hat, den Kindern einen schönen Tag ermöglicht zu haben. Ich bin mir sicher, dass ich mich durch den Zivildienst verändert habe und noch verändern werde. Ich bin ausgeglichener, kann mich mehr an Kleinigkeiten erfreuen und viel weniger über Kleinigkeiten ärgern. Somit denke ich, dass diese Zeit eine Erfahrung für mein ganzes Leben ist, die ich nie vergessen werde. Ich würde mich jederzeit wieder für den Zivildienst im Kinderhospiz Balthasar entscheiden. Ich darf dabei soviel lernen über die Arbeit mit erkrankten Kindern, über den Umgang mit Menschen in Ausnahmesituationen und über den persönlichen Umgang mit Themen wie Sterben und Trauern. Dabei habe ich vor allem auch viel über mich selbst gelernt. Obwohl es mich nach meinem Zivildienst in ein anderes Tätigkeitsfeld zieht, möchte ich auch weiterhin mit dem Kinderhospiz verbunden bleiben, zum Beispiel als ehrenamtlicher Mitarbeiter. Ich bin froh, ein Teil der Familie Balthasar sein zu dürfen und kann nur jedem raten, sich über die Arbeit und den Zivildienst in einem Kinderhospiz zu informieren.