Am 28. Februar ist internationaler Tag der seltenen Erkrankungen. Auch im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar sind viele der unheilbar erkrankten Kinder und Jugendlichen von einer seltenen Erkrankung betroffen. So wie Frieda, bei der im Alter von sechs Monaten das Wolf-Hirschhorn-Syndrom diagnostiziert wurde. Heute ist Frieda 14 Jahre alt. Ihre Mama Marion erzählt von ihrer Tochter und ihrer Familie:
"Als Frieda geboren wurde, wussten wir nicht, dass sie erkrankt war. Die Schwangerschaft lief zwar nicht ganz so problemlos wie anderthalb Jahre zuvor bei ihrer Schwester Martha, aber das war kein Grund für uns, besorgt zu sein. Frieda musste dann sechs Wochen vor Geburtstermin geholt werden, weil die Versorgung im Mutterleib nicht mehr gewährleistet war. Als unsere zweite Tochter das Licht der Welt erblickte und wir sie zum ersten Mal ansahen, beschlich uns ein komisches Gefühl, denn irgendwie sah sie anders aus als unsere Erstgeborene. Doch die Krankenschwestern beruhigten uns mit den Worten, es sei alles in Ordnung. Frieda war ein sehr schmächtiges Kind. Sie aß nicht viel, erbrach sich oft und wuchs kaum. Auch dabei hatten wir ein ungutes Gefühl, doch es hieß immer nur: „Frieda ist einfach ein kleines und zierliches Mädchen.“ Nach einem halben Jahr entschlossen wir uns dazu, für Untersuchungen in eine Klinik zu gehen. Die Ärzte fanden heraus, dass Frieda an dem seltenen Wolf-Hirschhorn-Syndrom leidet – eine Erberkrankung, die bei 1:50.000 Geburten auftritt und durch den Verlust eines kleinen Abschnitts am Ende eines Chromosoms verursacht wird.
Der Arzt teilte mir mit, dass Frieda maximal ein Jahr alt werden würde. Die Diagnose war ein Schock für uns.
Das nächste halbe Jahr verbrachten wir starr und wartend – wartend darauf, dass Frieda stirbt. Wir haben ihren ersten Geburtstag nicht gefeiert, denn mit dem Geburtstag rückte der Tag näher, an dem alles vorbei sein könnte. Dann verging der erste Geburtstag und Frieda lebte immer noch. Gerade in dieser Zeit – so kann ich heute rückwirkend feststellen – hat uns unsere Tochter Martha gerettet. Wir hatten ein zweites Kind und das war gesund. Das zwang uns ein Stück weit dazu, einen „normalen“ Alltag zu führen. Und so versuchten wir, soweit es geht, wie eine gewöhnliche Familie zu leben. Auch wenn Frieda teilweise nicht richtig aß, nicht laufen konnte und nicht sprach, versuchten wir das Beste aus unserer Situation zu machen. Wir erkundigten uns, an welchen Stellen wir Hilfe bekommen könnten und schrieben eine Reihe von Anträgen. Außerdem besuchten wir die genetische Beratungsstelle einer Essener Klinik. Das half uns sehr, denn nun wussten wir, dass sich das Wolf-Hirschhorn-Syndrom sehr unterschiedlich entwickeln kann und Frieda durchaus eine Zukunft haben könnte.
Dennoch waren die ersten drei Lebensjahre sehr anstrengend. Frieda hatte einige Lungenentzündungen und so verbrachten wir viel Zeit in Krankenhäusern. Doch unsere Tochter zeigte uns, dass sie leben möchte. Und so kam die Zeit, dass Frieda in den Kindergarten ging, wo sie von einer tollen Integrationshelferin betreut wurde. Nachdem ich die ersten dreieinhalb Jahre zu Hause war und mich nur um Frieda und unsere Familie gekümmert hatte, beschlossen mein Mann und ich, dass ich stundenweise wieder in meinen Beruf einsteige. Als Sozialarbeiterin in einem Mutter-Kind-Haus hatte ich die Unterstützung meines Arbeitgebers und das Glück, meine Arbeitszeit flexibel zu gestalten.
Frieda war länger im Kindergarten als üblich, doch das tat ihr gut. Mittlerweile besucht sie eine Förderschule, in der sie sehr gut aufgehoben ist. Frieda wird nie lesen oder schreiben lernen, und sie kann auch nicht sprechen. Aber die Schule macht ihr Spaß und sorgt auch bei uns für ein relativ normales Familienleben.
Frieda ist trotz ihrer Einschränkungen ein sehr fröhliches und präsentes Kind. Sie möchte alles mitbekommen und weiß sehr wohl, wie sie auf sich aufmerksam machen kann. Sie liebt Musik und bunte Sachen. Wo immer es möglich ist, nehmen wir Frieda mit. So fahren wir seit Jahren im Sommer in die Berge und machen dort Urlaub. Auch heute noch trägt mein Mann Frieda beim Wandern auf dem Rücken.
Vor zwei Jahren waren wir zum ersten Mal im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar in Olpe. Durch meine Arbeit kannte ich die Einrichtung sehr wohl, und dennoch kam es mir all die Jahre nicht in den Sinn, mit Frieda das Hospiz zu besuchen. Mein Mann und ich hatten Angst, denn beim Gedanken an das Hospiz kam auch gleichzeitig der Gedanke ans Sterben. Für uns war von Anfang an klar: Wenn es zu Ende geht, dann geht es zu Ende. Und dennoch konnten wir uns viele Jahre nicht dazu durchringen, ein Hospiz aufzusuchen. Wir konnten uns auch nicht vorstellen, dass irgendjemand anderes Frieda so gut pflegen würde, wie wir selbst. Als wir uns dann doch dazu durchrangen, spürten wir bei unserem ersten Besuch, welche Entlastung der Aufenthalt für uns bedeutet. Damals war mein Mann eine Woche mit Frieda im Kinderhospiz und ich besuchte die beiden jeden Tag. Schnell sahen wir, dass die Pflegekräfte sehr wohl in der Lage waren, Frieda zu versorgen. Sie schlief gut und war sehr entspannt nach ihrem Aufenthalt. Mittlerweile war Frieda nun schon einige Male im Kinderhospiz – mal mit uns und mal ohne.
Auch für uns Eltern sind diese Aufenthalte sehr erholsam. Nicht selten stehen wir zu Hause nachts drei bis vier Mal auf, um nach Frieda zu sehen. Es ist schön auch mal wieder eine Nacht durchzuschlafen. Oder einfach mal als Paar eine Pizza essen zu gehen, ohne vorher viel organisieren zu müssen.
Der Austausch mit anderen betroffenen Eltern ist ebenso hilfreich. Im Hospiz haben wir eine Familie kennengelernt, die ebenfalls vom seltenen Wolf-Hirschhorn-Syndrom betroffen ist. Auch wenn ich nicht an Friedas Tod denken möchte, ist es dennoch beruhigend zu wissen, dass wir ins „Balthasar“ kommen können, wenn es einmal so weit ist und Frieda sterben wird. Dann können wir uns hier in Ruhe und in vertrauter Umgebung von Frieda verabschieden.
Wir sind dankbar für die vielen hilfsbereiten Menschen, die uns in den vergangenen Jahren begleitet haben. Sie machen es uns möglich, ein schönes Familienleben zu führen. Und ich bin stolz auf meine Familie. Trotz aller Schwierigkeiten haben wir es hinbekommen, unsere Freude am Leben zu bewahren. Mein Mann und ich begegnen uns auf Augenhöhe und kümmern uns gemeinsam. So kriegen wir Familien- und Berufsleben wunderbar unter einen Hut. Was uns besonders wichtig ist: Wir behandeln unsere beiden Töchter gleichwertig. Trotz Friedas Erkrankung schaffen wir es, Martha ebenso viel Zeit einzuräumen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Im vergangenen Jahr war es uns sogar möglich, mit Martha nach Portugal zu fliegen. Frieda war in dieser Zeit im Kinderhospiz Balthasar. Sie ist nun 14 Jahre alt und uns ist bewusst, dass wir nicht immer um sie herum sein können. Wir wissen nicht, wie lange Frieda noch bei uns sein wird, aber wir versuchen sie in dieser Zeit ihrem Alter entsprechend zu behandeln und uns als Familie eine fröhliche Zeit zu machen."
Betroffene Familien mit unheilbar erkrankten Kindern erhalten im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar Unterstützung. Weitere Informationen zum Kinderhospiz erhalten Sie hier auf unserer Website: www.kinderhospiz.de